Ist die Unterscheidung von reinen und unreinen Tieren in 3. Mose 11 noch relevant?

von

Gerhard F. Hasel

(Übersetzung: Helga Schulenburg)

Einführung

Ist die Unterscheidung von reinen und unreinen Tieren, die in 3. Mo 11, 2-23, 41-45 und in 5. Mo 14, 3-20 (1) gemacht wird, heute noch von Bedeutung." Die Mehrzahl der Christen und sogar bestimmte Gruppen von Juden beachten diese Unterscheidungen in ihren Essgewohnheiten nicht mehr. Einige behaupten, das Festhalten an den biblischen Speisevorschriften sei eine Inkonsequenz von Seiten praktizierender Christen, die auf das Halten des Zeremonialgesetzes gegründet sei; ein Gesetz, das in Christus Erfüllung gefunden habe und für Christen nicht bindend sei. Dieses Thema wirft die wesentliche Frage auf, ob die Speisevorschriften in 3. Mo 11 und 5. Mo 14 außerhalb des Rahmens des alttestamentlichen Zeremonial- und Ritualgesetzes stehen. Sind diese Speisevorschriften Teil eines universalen biblischen Gesetzes und "moralischer Imperative", (2) die für bibelgläubige Menschen heute immer noch gültig sind? Diese Fragen stellen große Probleme dar, die hinsichtlich der Unterscheidung zwischen reinen und unreinen Tieren und ihrer Bedeutung für die heutige diätetische Praxis beachtet werden müssen.

Die meisten modernen Kommentatoren und Exegeten interpretieren die Unterscheidung von rein und unrein als rituell, kultisch und im Wesen zeremoniell, d. h. die Unterscheidung von rein und unrein ist Teil des israelitischen Kultus und gehört zum so genannten Zeremonialgesetz. Diese Interpretation fand über die Jahrhunderte hinweg die größte, wenn auch nicht die volle Unterstützung in der christlichen Kirche. Wir müssen daran erinnert werden, dass in den ersten Jahrhunderten der Christenheit dem Thema der reinen und unreinen Tiere innerhalb des größeren Kontextes der Reinigungsgesetze große Beachtung geschenkt wurde. (3) So hat z. B. die Ostkirche im Allgemeinen die Gesetze über Unreinheit jahrhundertelang unterstützt. Dies macht deutlich, dass es nicht so leicht ist, eine im Pentateuch gegebene Vorschrift dem Zeremonialgesetz zuzuordnen, wie einige vorschlagen und meinen, dass damit das Problem gelöst sei.

Die häufige Verknüpfung biblischer Vorschriften in Bezug auf Speisefragen in 3. Mo 11 und 5. Mo 14 mit dem Zeremonialgesetz stellt einige der grundlegendsten Fragen bezüglich biblischer Auslegung. Der wesentliche Kern ist die Frage: Ist die Weisung in 3. Mo 11 hinsichtlich der diätetischen Unterscheidung von reinen und unreinen Tieren Ergebnis der "Speisegesetze des Pentateuch durch die Priester verkündet," (4) und daher auf das alte Israel, seine Kultvorschriften und Zeremonialgesetze beschränkt! (5) Oder ist es eine göttliche Vorschrift, die zu dem gehört, was man als "universales Gesetz" bezeichnen kann, nämlich ein Gesetz, das nicht zeitlich begrenzt und auf ein bestimmtes Volk beschränkt ist, sondern das für alle Zeiten und an allen Orten Gültigkeit hat? Wenn letzteres der Fall ist und es mit biblischen Grundlagen nachgewiesen werden kann, dann wird die Unterscheidung zwischen reinen und unreinen Tieren bleibende Bedeutung für heutige Bibelgläubige haben!

Auf diese kurz zusammen gefassten Fragestellungen gegründet, wird es das Anliegen dieser Ausarbeitung sein, folgende Punkte zu behandeln.

  1. Gehö­rt die Unterscheidung von reinen/unreinen Tieren in 3. Mo, 11 zu der rein/unrein- Unterscheidung im allgemeinen Zeremonialgesetz, wie es so weit verbreitet vorgeschlagen wird?
  2. Was offenbart die Platzierung der rein/unrein-Unterscheidung von Tieren in 3. Mo 11 über ihre Bedeutung innerhalb des Kontextes im 3. Buch Mose!
  3. Wie dienen die Vergleiche und Kontraste der beim Speisegesetz in 3. Mo 11 benutzten speziellen Sprache als entscheidende Punkte, um zu demonstrieren, dass die rein/unrein-Unterscheidung in Bezug auf Tiere zum universalen Gesetz gehört?
  4. Welche anderen internen Indikatoren werden durch eine konzeptionelle Verknüpfung des Speisegesetzes in 3. Mo 11 mit anderen Teilen des Alten Testaments sichtbar gemacht, die anscheinend verdeutlichen, dass 3. Mo, 11 kein Teil des zeremoniellen rituellen Gesetzes ist, sondern heute noch zum gültigen universalen Gesetz gehört?
  5. Welche rationale Grundlage liefert 3. Mo 11 für das Speisegesetz in Beziehung zu seinem größeren biblischen Kontext und wie zeigt dies seine fortdauernde Bedeutung für heutige Bibelgläubige auf?