Zwischen Tod und Auferstehung

Das Schlagwort bei der Diskussion über den Zwischenzustand des Menschen (zwischen Tod und Auferstehung) lautet die "unsterbliche Seele des Menschen". Sie kann nicht sterben und bleibt nach dem Tode erhalten, so dass der Mensch als Seele bzw. Geist weiterlebt – so die allgemeine Auffassung. Dieses Bild entspricht aber nicht dem biblischen Bild des Zwischenzustandes.

Ein Problem dabei besteht darin, dass - biblisch gesehen - die Seele nicht das ist, was man volkstümlich darunter versteht. Jeder kennt Darstellungen, auf denen sich die Seele im Moment des Todes vom Körper trennt. Wie sieht das die Bibel?

Die eigentliche Bedeutung des Wortes Seele wird bereits auf den ersten Seiten der Bibel aufgezeigt:

"Da bildete Gott, der HERR, den Menschen, <aus> Staub vom Erdboden und hauchte in seine Nase Atem des Lebens; so wurde der Mensch eine lebende Seele" (1Mo 2,7 - Elberfelder)

Gott hat dem Menschen keine Seele gegeben, sondern der Mensch wurde eine Seele, nachdem Gott seinen Atem (Odem) in die Nase des Menschen hinein blies. "Seele" ist in der Bibel eine Bezeichnung nicht nur für den Menschen, sondern auch für Vieh (4Mo 31,28; Offb 16,3 – jeweils Elberfelder). Sie entspricht nicht der "unsterblichen Seele" etwa im Sinne der katholischen bzw. evangelischen Theologie, denn die Seelen in der Bibel können essen und trinken, haben Hunger, ja können sogar sterben (nach Elberfelder):

"Eine gute Botschaft aus fernen Landen ist wie kalt Wasser einer durstigen Seele." (Spr 25,25)

"Faulheit versenkt in tiefen Schlaf, und eine lässige Seele wird hungern." (Spr 19,15)

"Und welche Seele essen wird von dem Fleisch des Dankopfers, das dem HERRN zugehört, und hat eine Unreinigkeit an sich, die wird ausgerottet werden von ihrem Volk." (3Mo 7,20)

"Und sie schlugen alle Seelen, die darin waren, mit der Schärfe des Schwerts und verbannten sie, und er ließ nichts übrig bleiben, das Odem hatte, und verbrannte Hazor mit Feuer." (Jos 11,11)

"Denn siehe, alle Seelen sind mein; des Vaters Seele ist sowohl mein als des Sohnes Seele. Welche Seele sündigt, die soll sterben." (ELB, Hes 18,4) 

"Wo ist jemand, der da lebt und den Tod nicht sähe? Der seine Seele errette aus des Todes Hand?" (Ps 89,48)

"Seele" bezeichnet hier offenbar schlichtweg ein "lebendiges Wesen" (siehe 1Mo 6,17; 1Mo 7,22) – Solche Wesen bestehen laut 1Mo 2,7 aus dem Staub der Erde und dem Atem (bzw. Odem) Gottes. Wenn ein Mensch oder ein Tier stirbt, dann zerfällt diese Einheit wieder, d. h. der Odem kehrt zu Gott zurück und der Körper zerfällt zu Staub.

"Verbirgst du dein Angesicht, so erschrecken sie; nimmst du weg ihren Odem, so vergehen sie und werden wieder Staub." (Ps 104,29)

"Und nach diesen Geschichten wurde der Sohn seiner Hauswirtin krank, und seine Krankheit wurde so schwer, dass kein Odem mehr in ihm blieb." (1Kö 17,17)

Besonders die alttestamentlichen Texte widersprechen der volkstümlichen Seelenlehre. Es ist dabei anzumerken, dass die Texte es nicht erlauben, den Odem (also eigentlich nach 1Mo 2,7 nur einen Teil der Seele) als die "unsterbliche Seele des Menschen" zu interpretieren, denn der Odem scheint eher eine Kraft bzw. eine Lebensenergie zu sein:

"Und wie kann der Knecht dieses meines Herrn mit diesem meinem Herrn reden? Und ich - von nun an bleibt keine Kraft mehr in mir, und kein Odem ist in mir übrig." (Dan 10,17)

"Denn das Geschick der Menschenkinder und das Geschick des Viehs - sie haben ja ein [und dasselbe] Geschick - [ist dies]: wie diese sterben, so stirbt jenes, und einen Odem haben sie alle. Und einen Vorzug des Menschen vor dem Vieh gibt es nicht, denn alles ist Nichtigkeit. Alles geht an einen Ort. Alles ist aus dem Staub geworden, und alles kehrt zum Staub zurück." (Pred 3,19-20 - Elberfelder)

Auch im Buch Hesekiel, Kapitel 37 wird von einem Odem gesprochen, der Menschen wiederbelebt:

"Und er sprach zu mir: Weissage dem Odem, weissage, Menschensohn, und sprich zu dem Odem: So spricht der Herr, HERR: Komm von den vier Winden her, du Odem, und hauche diese Erschlagenen an, dass sie [wieder] lebendig werden! Da weissagte ich, wie er mir befohlen hatte; und der Odem kam in sie, und sie wurden [wieder] lebendig und standen auf ihren Füßen, ein sehr, sehr großes Heer." (Hes 37,9-10 - Elberfelder)

 

Die meisten Bibelübersetzungen geben den Vers 7 aus Prediger 12 folgendermaßen wieder:

"Denn der Staub muss wieder zur Erde kommen, wie er gewesen ist, und der Geist wieder zu Gott, der ihn gegeben hat."

Das Wort ruach, das hier mit Geist übersetzt wird, scheint für die Vorstellung zu sprechen, dass eine "Seele" nach dem Tod zu Gott gehe. Andererseits ist es das gleiche Wort, das an anderen Stellen wie im 1Mo 7,22 mit Odem übersetzt wird. Während die übrigen Bibelstellen ein harmonisches Bild in Hinblick auf die Übersetzung von ruach als Odem im Kontext des sterbenden Menschen zeigen, entschieden sich die Übersetzen hier von Odem abzuweichen und geben an dieser Stelle ruach als Geist wieder. Betrachtet man den hebräischen Parallelismus in Hiob 27,3 so wird deutlich, dass mit ruach im Hinblick auf das Leben des Menschen jene Lebenskraft gemeint ist, mit der Gott den Menschen bei seiner Schöpfung eingehaucht hat. Beim Parallelismus wird der gleiche Gedanke im nächsten Satz bzw. Satzteil mit anderen Worten wiederholt und somit gleichgesetzt. Der Parallelismus ist ein typisches, stilistisches Mittel, das in der Bibel häufig anzutreffen wird. Statt der uns vertrauten Reime verwendeten die biblischen Schreiber den Parallelismus, indem sie ein Wort, eine Idee oder eine Handlung auf unterschiedliche Art und Weise zum Ausdruck brachten. In Hiob 27,3 lesen wir:

"solange noch mein Odem [neshamah] in mir ist und der Hauch von Gott [ruach] in meiner Nase"

Gemäß dem Parallelismus wird hier das hebräische Wort neshamah mit ruach gleichgesetzt. Das heißt umgekehrt, der Geist (ruach) bedeutet Hauch von Gott (neshamah). Folgendermaßen sollte der Text in Prediger 12,7 nicht als Beleg für eine Seelenlehre verwendet werden, denn die Verwendung von Geist als Übersetzung von ruach an dieser Stelle stärker mit der Weltanschauung des Übersetzers zusammenzuhängen scheint als mit den biblischen Indizien dafür, was ruach hier bedeutet.

 

Neben der Bedeutung des Begriffs Seele als Synonym für "lebendiges Wesen" hat das Wort noch weitere Bedeutungen, zum Beispiel wird Blut als Seele bezeichnet:

"Denn [was] die Seele alles Fleisches [betrifft]: sein Blut, das ist seine Seele, - und ich habe zu den Söhnen Israel gesagt: Das Blut irgendwelches Fleisches sollt ihr nicht essen, denn die Seele alles Fleisches ist sein Blut; jeder, der es isst, soll ausgerottet werden." (3Mo 17,14)

Je nachdem, ob ein Text im Alten oder im Neuen Testament betrachtet wird, steht im Urtext das hebräische Wort näphäsch oder das griechische Wort psyche. Durch den Vergleich der Urtexte des Alten und Neuen Testaments sowie durch den Vergleich des hebräischen Urtextes mit dem griechischen Text LXX zeigt sich, dass die Wörter ein großes Bedeutungsspektrum aufweisen. Zur Illustration sollen jetzt einige Bibeltexte genannt werden, die exemplarisch die Vielseitigkeit dieser Wörter veranschaulichen. Dabei soll eine grobe Unterteilung in drei Gruppen vorgenommen werden.

 

1. Ein Lebewesen

Die bereits zu Beginn dieses Kapitels genannten Bibelstellen verwenden "Seele" als Bezeichnung für ein Lebewesen (in seiner Ganzheit). Das gilt nicht nur für das hebräische Wort näphäsch, sondern auch für das griechische Wort psyche, wie folgende Texte zeigen:

"Wie geschrieben steht: Der erste Mensch, Adam, »wurde zu einem lebendigen Wesen [psyche]«, und der letzte Adam zum Geist, der lebendig macht." (1Kor 15,45)

 "und will sagen zu meiner Seele [psyche - hier als Fürwort 'mir']: Liebe Seele [psyche], du hast einen großen Vorrat für viele Jahre; habe nun Ruhe, iss, trink und habe guten Mut!" (Lk 12,19)
 

2. Das Leben (Lebenskraft, Blut - im übertragenen Sinn als Lebensträger)

Relativ häufig werden psyche und näphäsch als Leben übersetzt (z. B. Ri 12,3; 1Sam 19,5; 20,1; 28,21) oder im NT:

"Ich bin der gute Hirte. Der gute Hirte lässt sein Leben [psyche] für die Schafe." (Joh 10,11).

Entsprechend auch in Johannes 13,37 und Matthäus 6,25. Besonders interessant ist Markus 8,35; (bzw. Mt 10,39; Lk 17, 33 ): "Denn wer sein Leben [psyche] erhalten will, der wird's verlieren; und wer sein Leben [psyche] verliert um meinetwillen und um des Evangeliums willen, der wird's erhalten."

In dieser Aussage zeigt sich, dass sich psyche sowohl auf das irdische als auch auf das ewige Leben beziehen kann. Dies ist auch der Schlüssel zu folgenden missverständlichen Bibelstellen:

"Und fürchtet euch nicht vor denen, die den Leib töten, doch die Seele [psyche] nicht töten können; fürchtet euch aber vielmehr vor dem, der Leib und Seele [psyche] verderben kann in der Hölle [gehenna]." (Mt 10,28)

Dieser Text kann frei übersetzt werden mit: "Fürchtet euch nicht vor den Menschen, die euren Körper töten aber euch nicht das ewige Leben nehmen können. Fürchtet aber Gott, der im Gerichtsfeuer beides zunichte machen kann."

Dieser Text soll später ausführlicher diskutiert werden (siehe Die unsterbliche Seele des Menschen (Mt 28,10)).

 

3. Die Psyche (Gemüt, das Innere des Menschen, Sitz der Empfindungen)

Ein typisches Beispiel aus dem AT befindet sich in den Psalmen: "... mein Herz [näphäsch] vor dem Herrn ausschütten." (Ps 42,5) oder im Buch Hiob: "Jetzt aber zerfließt meine Seele [näphäsch] in mir." (Hiob 30,16).

Auch im Neuen Testament gibt es zahlreiche Stellen, an denen Seele gemäß dieser dritten Kategorie verstanden werden kann, z. B. Mt 26,38, Lk 2,35 oder Apg 14,22.

Eindrucksvoll ist auch 2Petr 2,8, wo es heißt, dass Lots gerechte Seele durch die bösen Werke der Bewohner Sodoms gequält wurde. Auch hier wurde Lot nicht äußerlich misshandelt, sondern litt innerlich.

Die Bedeutung von psyche überschneidet sich hier mit dem Bedeutungsfeld von 'Geist' (griech. pneuma), d. h. dieses Wort wird z. T. ähnlich wie psyche verwendet.

Die Bibel kennt die Seele nur in Verbindung mit dem ganzen Menschen – entweder als ganzen Menschen (als die Verbindung von Körper und Odem / Geist) oder als "innerlicher Teil des Menschen" (siehe 3. Psyche oben). Eine spezielle Seelenlehre, wie sie z. B. in der Philosophie oder in machen Religionen vertreten wird, in der eine Seele ohne Beziehung zum Körper eines bestimmten Menschen existieren kann, ist in der Bibel nicht zu finden.

Die Apostel weisen stets darauf hin, auf Körper, Geist und Seele zu achten, da sie Schaden nehmen können. Besonders deutlich wird es in 1Thess 5,23:

"Er aber, der Gott des Friedens, heilige euch durch und durch und bewahre euren Geist samt Seele und Leib unversehrt, untadelig für die Ankunft unseres Herrn Jesus Christus.".

Alle Teile des Menschen sind für die Errettung untadlig und rein zu bewahren. Daher ist ein Christ auch verpflichtet, darauf zu achten, wie er mit seinem Körper umgeht, der auch Tempel des Heiligen Geistes genannt wird (1Kor 3,16).

 

Obwohl die meisten Bibelstellen eindeutig sind, ist der Glaube an eine "unsterbliche Seele" weit verbreitet.

Das Wort "Seele" kommt 1642 mal in der Bibel vor, doch nie in Verbindung mit dem Wort "unsterblich", das lediglich dreimal erwähnt wird. Dabei sagt Paulus unmissverständlich, dass Gott allein unsterblich ist (1Tim 6,15).

Manche wenden ein, dass auch die Engel unsterblich sind. Sie besäßen eine durch Gott verliehene Unsterblichkeit. Genauso seien alle Menschen – auch die nicht erlösten – unsterblich und müssen daher bis in alle Ewigkeit weiter existieren. Dabei wird die Möglichkeit, dass Gott ihnen diese verliehene Unsterblichkeit entzieht, aus unerklärlichen Gründen ausgeschlossen.

Von der Unsterblichkeit des Menschen wird nur im Zusammenhang mit der Wiederkunft Christi geschrieben.

"Und das plötzlich, in einem Augenblick, zur Zeit der letzten Posaune. Denn es wird die Posaune erschallen, und die Toten werden auferstehen unverweslich, und wir werden verwandelt werden. Denn dies Verwesliche muss anziehen die Unverweslichkeit, und dies Sterbliche muss anziehen die Unsterblichkeit. Wenn aber dies Verwesliche anziehen wird die Unverweslichkeit und dies Sterbliche anziehen wird die Unsterblichkeit, dann wird erfüllt werden das Wort, das geschrieben steht (Jesaja 25,8; Hosea 13,14): »Der Tod ist verschlungen vom Sieg." (1Kor 15,52-54)

Zur weiteren Diskussion siehe: Die unsterbliche Seele des Menschen (Mt 28,10) und Versuche eine gewisse Seelenlehre mit der Bibel zu begründen.
 

"Seele" bezeichnet keinen autonomen Teil des Menschen, sondern ist untrennbar mit dem ganzen Menschen verbunden.  
 

Ergebnisse

Der menschliche Körper zusammen mit Odem Gottes bildet eine Seele. Zieht Gott seinen Odem zurück, so stirbt der Mensch und sein Körper zerfällt. Es ist unerheblich, ob die Seele im Sinne des körperlichen oder geistlichen Lebens verstanden wird: Sie bezeichnet nie einen autonomen Teil des Menschen, sondern den Menschen ganz, in seinem Leben vor Gott.

Das Bedeutungsfeld von Seele bzw. von der entsprechenden hebräischen oder griechischen Bezeichnung ist zwar sehr groß aber der Glaube an eine "unsterbliche Seele" kann damit nicht begründet werden. Gott allein ist unsterblich (1Tim 6,16). Dieses wird jedoch oft bestritten – nicht selten mit mangelhaften Argumentationsketten (siehe Falsche Argumente für eine ewige Hölle und falsche Schlussfolgerungen).

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