Das abgebrochene Zelt (2Kor 5, 1-10)

"Denn wir wissen, dass, wenn unser irdisches Zelthaus zerstört wird, wir einen Bau von Gott haben, ein nicht mit Händen gemachtes, ewiges Haus in den Himmeln. Denn in diesem freilich seufzen wir und sehnen uns danach, mit unserer Behausung aus dem Himmel überkleidet zu werden insofern wir ja bekleidet, nicht nackt befunden werden. 

Denn wir freilich, die in dem Zelt sind, seufzen beschwert, weil wir nicht entkleidet, sondern überkleidet werden möchten, damit das Sterbliche verschlungen werde vom Leben. Der uns aber eben hierzu bereitet hat, ist Gott, der uns das Unterpfand des Geistes gegeben hat. So sind wir nun allezeit guten Mutes und wissen, dass wir, während einheimisch im Leib, wir vom Herrn >ausheimisch< sind - denn wir wandeln durch Glauben, nicht durch Schauen -; wir sind aber guten Mutes und möchten lieber >ausheimisch< vom Leib und einheimisch beim Herrn sein. Deshalb setzen wir auch unsere Ehre darein, ob einheimisch oder >ausheimisch<, ihm wohlgefällig zu sein. Denn wir müssen alle vor dem Richterstuhl Christi offenbar werden, damit jeder empfange, was er durch den Leib vollbracht, dementsprechend, was er getan hat, es sei Gutes oder Böses." (Elberfelder)

 

Paulus vergleicht hier den menschlichen Körper mit einem Zelt. Dieser Vergleich war für Paulus sicherlich nahe liegend, da er Zeltmacher (Apg 18, 3) war und der menschliche Körper sowie ein Zelt einiges gemeinsam haben: Das Material, aus dem beide gemacht sind, kommt aus der "Erde". Sie sind beide temporär in ihrer Natur (Ort, Existenz), beide sind leicht zu zerstören und zerfallen zu "Staub". Nach Johannes (Joh 1, 14 ) "zeltete" Jesus unter uns als er bei seiner Inkarnation einen menschlichen Körper annahm.

Lutzer und andere folgern aus diesem Abschnitt, insbesondere aus der Aussage "wir sind aber guten Mutes und möchten lieber ausheimisch vom Leib und einheimisch beim Herrn sein" (Vers 8), dass die "Seele" des Christen nach dem Tod direkt "einheimisch beim Herrn" sei, d. h. in die Gegenwart Gottes gelange und Paulus sich daher den Tod herbei gewünscht habe (vgl. Lust abzuscheiden (Phil 1,23))

Allerdings beschreibt Paulus im Vers 3 den Zustand des Toten als "nackt" oder "unbekleidet" und in Vers 5 sagt er ausdrücklich, dass er nicht entkleidet (sterben), sondern vielmehr überkleidet werden möchte. Damit schließt er an den ersten Korintherbrief an, in dem er davon schreibt, dass nicht alle Gläubigen erst sterben und dann bei der Auferstehung unverweslich auferweckt werden, sondern die Gläubigen bei der Wiederkunft direkt verwandelt werden. Er schreibt: "Denn dies Verwesliche muss anziehen die Unverweslichkeit, und dies Sterbliche muss anziehen die Unsterblichkeit." (1Kor 15, 53)

Wenn er nun schreibt, dass er nicht entkleidet, sondern überkleidet werden möchte, dass das Sterbliche vom Leben verschlungen werden möge, dann drückt er hier den Wunsch aus, die Wiederkunft Jesu zu erleben, ohne vorher zu sterben [1].

Paulus macht in 1Kor 15, 51-54, 1Thess 4, 13-17 und 2Tim 4, 6-8 deutlich, dass weder die Verstorbenen noch die bei der Wiederkunft lebendigen Gläubigen bevorzugt werden. Die Gläubigen – ob tot oder lebendig – werden ihren Lohn erst erhalten, wenn Jesus kommt. Zwar erhalten auch die Gläubigen, derer "Zelt zerstört" wurde (Vers 1) ein ewiges Zelt, doch Paulus wünscht sich eine Überkleidung (Vers 4).

In Vers 8 drückt Paulus seinen Wunsch aus, "ausheimisch vom Leib" und "einheimisch beim Herrn" zu sein. Dieses bedeutet aber nicht "entkleidet" oder "nackt" also tot zu sein, denn diesen Zustand möchte Paulus vermeiden (Vers 4). Das Leben zu haben (V. 4) und "einheimisch beim Herrn" zu sein, ist nur durch die Überkleidung möglich (V. 4); durch das "ewige Haus", das von Gott kommt (V. 1).

Obwohl Paulus noch "einheimisch im Leib" ist, d. h. noch immer im eigenen, vergänglichen, fleischlichen Körper wohnt, so ist er guten Mutes, denn er kennt die Verheißung des ewigen Hauses, des neuen unvergänglichen Leibes. Wenn Paulus dieses neue Haus (bei der Wiederkunft) erhält, dann ist er auch "einheimisch beim Herrn", d. h. zu Hause beim Herrn (siehe 1Thess 4, 17) und "ausheimisch" dem alten vergänglichen Leib. Diese wunderbare Verheißung gibt Paulus so viel Mut, dass er den Tod nicht fürchtet, sondern ihn in letzter Konsequenz als Gewinn bezeichnet (Phil 1, 21). Der Vers 8 besagt, dass Paulus lieber schon den neuen Leib hätte (um mit dem neuen Auferstehungsleib beim Herrn zu sein), als noch immer das temporäre fleischliche Zelt zu bewohnen. Der Vers bedeutet jedoch nicht, dass man nach dem Tod sofort beim Herrn ist: Der entkleidete Mensch schläft und erwacht erst bei seiner Auferstehung (Joh 6, 44; Joh 14, 2-3; Dan 12, 13; Ps 17, 15; 1Kor 15, 51-54; 1Thess 4, 13-17). Obwohl dieser Text im zweiten Korintherbrief nach einem bewussten Zustand nach dem Tode klingt, zeigen doch zahlreiche andere Bibelstellen klar, dass wir erst beim Herrn sind, wenn er wiederkommt und wir dann aus dem Todesschlaf erwachen bzw. verwandelt werden.

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[1] Oder zumindest wie Henoch und Elia direkt zu Gott entrückt zu werden. Diese beiden sind die einzigen bekannten Menschen, die ohne zu sterben direkt in die Gegenwart Gottes gelang sind.