Gott der Lebenden (Lk 20,38)

"Dass aber die Toten auferweckt werden, hat auch Mose beim Dornbusch angedeutet, wenn er den Herrn »den Gott Abrahams und den Gott Isaaks und den Gott Jakobs« nennt. Er ist aber nicht Gott der Toten, sondern der Lebenden; denn für ihn leben alle." (Lk 20,37.38)

Die kritische Stelle ist "Er ist aber nicht Gott der Toten, sondern der Lebenden; denn für ihn leben alle.". Dabei verzichten Matthäus und Markus auf den Teil "denn für ihn leben alle." – Besagt dieser Satz, dass die Toten nicht schlafen, sondern im Paradies oder in der Hölle leben? Worum geht es hier überhaupt?

Die Sadduzäer, eine jüdische Partei, die vom hellenistischen Denken beeinflusst war und als eine Partei von ausgesprochenen Rationalisten betrachtet werden könnte, glaubten weder an eine leibliche Auferstehung der Toten (Mt 22,23; Apg 4,1f) noch an Wesen wie Engel oder Geister (Apg 23,8). Sie widersprachen der Lehre Jesu und der Lehre der Pharisäer in diesen Punkten.

In Lk 20,27f kommt es zu einer Auseinandersetzung, in der die Sadduzäer Jesus mit einer konstruierten Frage (Lk 20,28-33) konfrontieren. Die Sadduzäer versuchten, mit der Frage die Auferstehung zu widerlegen bzw. sie unglaubwürdig zu machen. Jesus aber antwortete:

"... Die Söhne dieser Welt heiraten und werden verheiratet; die aber, die für würdig gehalten werden, jener Welt teilhaftig zu sein und der Auferstehung aus den Toten, heiraten nicht, noch werden sie verheiratet; denn sie können auch nicht mehr sterben, denn sie sind Engeln gleich und sind Söhne Gottes, da sie Söhne der Auferstehung sind. Dass aber die Toten auferweckt werden, hat auch Mose beim Dornbusch angedeutet, wenn er den Herrn »den Gott Abrahams und den Gott Isaaks und den Gott Jakobs« nennt. Er ist aber nicht Gott der Toten, sondern der Lebenden; denn für ihn leben alle." (Lk 20,34-38)

Der erste Teil (Vers 34-36) ist die Begründung dafür, dass die Sadduzäer sich irrten (sie kennen die Schrift nicht (z. B. Dan 12,2, vgl. Mt 22,29; Mk 12,24) und wüssten nichts über die Welt nach der Auferstehung und die Macht Gottes) und der zweite Teil ist die Begründung für die Auferstehung. Jesus argumentiert folgendermaßen: Mose bezeichnet den Herrn als Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs, obgleich diese längst entschlafen und ihre Körper zu Staub geworden sind. Würde es keine Auferstehung geben, so müsste es heißen: Gott war der Herr Abrahams, Isaaks und Jakobs. Gott selbst sagt aber: "Ich bin der Gott deines Vaters, der Gott Abrahams, der Gott Isaaks und der Gott Jakobs..." (2Mo 3,6).

Gott hat den Menschen die Auferstehung verheißen und Abraham starb in der Erwartung der Auferstehung (Heb 11,10). Würde es die Auferstehung nicht geben, so wäre Gott (weil er sich als Gott Abrahams identifiziert) auch ein Gott der Toten. Er ist aber ein Gott der Lebenden!

Die Toten bleiben nicht tot und der Todesschlaf ist nicht das Ende, wie die Sadduzäer meinten. Die Toten schlafen bis zur Auferstehung. Der Herr wird die Gerechten und die Ungerechten auferwecken und, weil sie bis dahin "in Gott" weiterexistieren[1], und noch nicht völlig verloren gegangen sind, sind die Toten für ihn nicht tot, sondern lebendig[2]. Für ihn leben sie alle (wegen der Tatsache der Auferstehung) - die Gerechten bis in alle Ewigkeit und die Ungerechten bis zur endgültigen Bestrafung (Vernichtung).

Jesus geht es hier nicht darum, wie genau der "Schlaf-Zustand" der Toten aussieht, sondern um die Tatsache der Auferstehung der Toten, die die Sadduzäer leugneten und auch Paulus verteidigen musste (1Kor 15,12f). Andere Stellen sprechen deutlicher über den Zustand der Toten (s. oben). Jesus sagt hier jedoch nichts darüber, sondern beschränkt sich auf die Auferstehung (siehe Vers 37a!).


[1] Die Bibel sagt nicht wie, wohl aber dass die Toten im Todesschlaf nicht denken, Gott nicht loben, etc.

[2] Außerdem gilt für Gott ein anderer zeitlicher Rahmen. Welchen Unterschied macht es für einen ewigen Gott, ob  ein Mensch ein paar Sekunden, Tage, Jahre oder Jahrtausende im Grab ruht? "Denn tausend Jahre sind vor dir wie der Tag, der gestern vergangen ist, und wie eine Nachtwache." (Ps 90,4)